Das, was ganz hinten steht, lieber Leser, sollten Sie zuerst lesen. Zumindest dann, wenn Sie nicht mit der Region vertraut sind. Außerdem verweist der Autor in der ihm eigenen, sehr bescheidenen Manier, auf die Romanvorlage zu Blutlauenen. Es ist Agatha Christies And Then There Were None (ursprünglicher deutscher Titel Zehn kleine Negerlein).
Tatsächlich sind strukturelle Ähnlichkeiten mit Agatha Christies Werk vorhanden. Mehr aber auch nicht. Alles in Blutlauenen ist kräftig und überdeutlich gezeichnet. Angefangen von der Landschaft, nein, es geht nicht nur um „hohe Berge“, die Bergwelt besteht schließlich aus sehr viel mehr Landschaftsmustern. Christof Gasser scheint bewusst übertreiben zu wollen. Ich gestatte mir diese Einschätzung, weil ich ihn vor einem Jahr in seinem Heimatort kennenlernen und einen Tag lang begleiten durfte. Er schätzt eigentlich eher die leisen Töne. Umso mehr fallen mir seine Betonungen auf.
Das beginnt bei den Akteuren, in deren Mittelpunkt Cora Johannis steht, die erfolgreiche Journalistin. Die Mutter zweier Jugendlicher. Die attraktive fast Fünfzigjährige. Die von Daniel vom Staal bewundert und verehrt wird und der nicht aufgibt, zu hoffen.
Cora gehört zu einer Jugendclique, die sich nach drei Jahrzehnten zu einem Wiedersehen in einem Jagdhaus auf der Tungelalp zusammenfindet. Ludovine, deren Familie der eindrucksvolle Besitz gehört, hat alle Hebel in Bewegung gesetzt, um in tausendachthundert Meter Höhe, weit abgeschieden von jeglicher Zivilisation, ein Wochenende lang Wiedersehen zu feiern. Die Unterkunft ist mehr als komfortabel, für Verpflegung ist gesorgt und zwei dienstbare Geister werden sich um das Wohl der Gäste kümmern.
Beste Voraussetzungen für die ehemalige Clique, vorbehaltlos zu genießen. Der Leser ahnt, dass es wohl zu viel des Guten dieser Wohlfühlstimmung ist.
Und richtig – während des ersten Abendessens bricht ein Gast zusammen. Die Todesursache scheint klar zu sein. Zweifel an seinem „natürlichen“ Tod werden durch einen weiteren Todesfall genährt. Das Wetter draußen verschlechtert sich im gleichen Maße wie die Stimmung im Haus.
An ein Entkommen ist nicht zu denken. Handys sind nutzlos geworden; es gibt keinen Empfang.
Allein dieses Szenario würde schon genügend Stoff für einen spannenden Krimi liefern. Christof Gasser hingegen holt weit aus. Im wahrsten Sinne des Wortes. Er nimmt sich einen unrühmlichen Teil Schweizer Geschichte vor. Nein, von mir erfahren Sie an dieser Stelle nicht mehr. Der Autor hat sich intensiv und sorgsam mit dem Transport von Nazigold in die Schweiz beschäftigt. Ich habe parallel zu diesem gesonderten Erzählstrang recherchiert.
Christof Gasser füllt mit seiner Geschichte in der Geschichte Wissenslücken.
Und dabei belässt er es nicht.
Er drückt aufs Tempo. Nein, das ist nicht Action. Das ist klassisches Erzähltempo. So geht Bücherschreiben. So schreibt man einen spannenden Krimi. Was hält der Autor noch bereit? Wozu sind die Akteure, die Reste der Jugendclique noch fähig? Und, vor allen Dingen, was sind die Gründe für die Handlungen? Denn noch immer ist unklar, wer da handelt. Die Dinge geschehen einfach.
Und Cora Johannis kämpft wie besessen.
Blutlauenen erschien im Februar 2019, und wie die anderen Krimis des Autors auch, bei emons:.