Wer ist hier der Protagonist: Karl Sönnigsen, Hauptkommissar a.D. oder Polizeiobermeisterin Maren Thiele, die nach zwanzig Jahren auf die Insel Sylt und zu ihrem Vater zurückkehrt ?
Es ist Karl. Er ist zwar nicht mehr im Dienst, aber das sehen nur die Anderen so, er nicht. Vorwände, die alte Stätte seines Wirkens aufzusuchen, findet er genügend. Mal liegt die Polizeidienststelle gerade auf seinem Weg, an anderes Mal bringt er seinen ehemaligen Kollegen belegte Brötchen, damit sie sich besser ihrer Arbeit widmen können. Laut und lärmend, ohne eine Spur von Zurückhaltung, stürmt Karl das Revier, pflegt alte Kontakte und vereinnahmt neue Kollegen sogleich für sich.
Eine rätselhafte Einbruchserie liefert Karl Sönnigsen, dem Hauptkommissar a.D., endgültig Anlass, sich in die laufenden Ermittlungen der Westerländer Polizei einzumischen. Zumal es sich bei der zuletzt Betroffenen um seine Chorschwester Gisela handelt.
Karl liefert der Polizei handfeste Hinweise und äußert Vermutungen, er glaubt ein Muster in der Einbruchserie zu erkennen, wird aber nicht erhört, sondern stattdessen zur Tür hinauskomplimentiert.
Karls Stunde ist gekommen. Er überzeugt Inge, Charlotte und Onno von der Notwendigkeit, eine private Eingreiftruppe auf die Beine zu stellen, weil er den hilflosen Polizisten seiner ehemaligen Revierwache nicht mehr tatenlos zuschauen will. Anfängliche Bedenken räumt ein Mann wie Karl schnell aus. Er überzeugt seine Freunde von der Notwendigkeit und hat natürlich auch einen Plan. Die alteingesessenen Inselbewohner, zugleich verängstigte Hausbesitzer, nutzen ihr Wissen um die Strukturen auf der Insel und alte Familiengeschichten, um Karls Plan Leben einzuhauchen.
Auch Maren Thiele, die neue Polizeiobermeisterin, bleibt von Karls Attacken nicht verschont. Schließlich ist sie Karls Patentochter und ihr Vater Onno sein bester Freund. Was liegt da näher, als diese mehr als freundschaftliche Nähe zu nutzen. Es nutzt nur nichts, Maren durchschaut die treuherzig vorgetragenen Annäherungsversuche ihres Patenonkels und weist ihn ab.
Der Zugang zu den bisherigen Opfern, sämtlich überfallene Hausbesitzer, fällt der privaten Ermittlertruppe leicht, man kennt sich bzw. kennt man jemanden, der den anderen kennt. Alles klar? So geht das auf der Insel.
Menschen sind bislang nicht zu Schaden gekommen, von dem Schrecken einmal abgesehen, und die materiellen Verluste halten sich in Grenzen. Doch die Unsicherheit nimmt zu, gerade bei älteren Menschen.
Der Einfallsreichtum des pensionierten Ermittlers und selbst ernannten Anführers der privaten Truppe scheint grenzenlos zu sein. Um an wichtige Informationen zu gelangen, findet er stets Mittel und Wege, die bei den Hütern des Gesetzes zur vorübergehenden Atemlosigkeit führen, wenn sie davon erfahren.
Natürlich ist auch die Polizei nicht untätig, kann aber nicht beim Arbeitstempo der Pensionäre mithalten.
Dora Heldt hat einen Sylt-Krimi geschrieben, ohne übertriebene Betonung „Sylt“. Das empfinde ich als sehr angenehm. Schickimicki wird nur am Rand erwähnt.
Der Leser eines Krimis erwartet Spannung. Je spannender, desto besser. Das Privatleben der Akteure sollte nie von der eigentlichen Handlung ablenken oder gar als störend empfunden werden.
Dora Heldt hat sich von diesem Muster entfernt.
Sie bietet dem Leser gleich mehrere Einblicke in das Privatleben ihrer Figuren. Gekonnt verknüpft und lebhaft beschrieben. Meine Empfindung war, dass diese „Privatleben“ dazugehören.
Das Lesen der vierhundertvierzig Seiten verging wie im Flug. Auch das spricht für die Qualität.
„Dora Heldt, 1961 auf Sylt geboren, ist gelernte Buchhändlerin, seit 1992 als Verlagsvertreterin unterwegs und lebt heute in Hamburg. Mit ihren spritzig-unterhaltenden Romanen hat sie sämtliche Bestsellerlisten erobert, die Bücher werden regelmäßig verfilmt.“ Das schreibt ihr Verlag über sie. Böse Leute ist der erste Kriminalroman von Dora Heldt. Ein sehr gelungenes Debüt. Das Buch erschien im Februar 2016 bei dtv.