Rezension

Ein Roman. Ein Geschichtsbuch. Ein Stück Geschichte dieser Stadt. Ein Krimi und ein „Regional“-Krimi im prächtigsten Sinn. Ich muss mit diesen Superlativen anfangen, um dem Anspruch dieses vierhundertfünfzig Seiten starken Buches gerecht zu werden.
Glauben Sie mir, lieber Leser, es wäre viel leichter, im Überschwang zu verharren und abenteuerliche Vergleiche zu anderen (egal, ob lebenden oder verstorbenen) Autoren anzustellen oder blumig zu pauschalieren. Das hätte Lyndsay Faye aber nicht verdient. Dieses Buch besitzt mehr als nur einen Hauch von Abenteuer. Es muss aus unserer heutigen Sicht auch abenteuerlich anmuten, wie sich das Leben 1846 in New York zugetragen hat. Es war hart, von Folklore keine Spur. Zu viele Menschen drängten sich in dieser Stadt, alle wollten am Leben teilhaben. Die Ansprüche der einen waren lächerlich gering und zugleich unerfüllbar, die Ansprüche anderer gewaltig und machbar.
Von Interessenkonflikten verschiedener Gruppen oder Gruppierungen zu sprechen, wäre zu schwach. Das Hauptinteresse der überwiegenden Zahl der Menschen bestand nur in dem Wunsch, in Würde zu leben. Mehr nicht.
Die Zahl der Arbeitssuchenden  und der Einwanderer stieg täglich. Kinderarbeit unter unwürdigsten Bedingungen war an der Tagesordnung und der Sklavenhandel wurde von offizieller Seite geduldet.
Die kurze Beschreibung der Zustände ist in diesem Fall notwendig, um die fast aussichtslose Situation zu begreifen, in der sich 1846 die gerade gegründete Polizei von New York befand. Und um zu verstehen, welche Männer für diese Posten nur in Frage kamen. Welche Anstrengungen sie unternehmen mussten, bei den Ärmsten als Helfer (die es bislang nicht gab) anerkannt zu werden und sich gegen politische Intrigen zu behaupten, ohne auf Dauer mutlos zu werden.
Timothy Wilde, knapp dreißig Jahre alt, und einer der Ersten, die sich den Stern aus Kupferblech ans Revers steckten, nachdem im vorangegangenen Sommer endlich eine offizielle Polizeitruppe in der Stadt gegründet worden war, ist mehr als nur der Protagonist dieser Geschichte. Er hat schon den Status eines Helden, so wie er sich für Recht und Ordnung einsetzt. Besorgt hatte ihm diese Arbeit als Polizist im Sechsten Bezirk in Manhattan sein einige Jahre älterer Bruder Valentine, seines Zeichens Polizei-Captain, Feuerwehrmann, korrupter Politiker, Frauenheld und einiges mehr. Erschrocken, lieber Leser? Valentine, stets nur Val genannt, ist tatsächlich mit ganzem Herzen Polizist. Wer ihn auf seiner Seite hat, weiß das zu schätzen. Die Gemeinsamkeiten der Brüder beschränken sich auf ihre Eltern und die bedingungslose Ausübung ihres Berufes.
Kommt es mal hart, und das kommt vor, stehen sie zueinander.
Spannend ist das Aufgabengebiet des Timothy Wilde. Sein „ Büro“ besteht zwar nur aus einem fensterlosen Raum, in dem gerade mal ein Schreibtisch und ein Stuhl Platz haben, er ist aber vom Streifendienst befreit und wird von seinem Vorgesetzten Chief Matsell als Sonderermittler für knifflige Fälle eingesetzt.
Zu der Figur des Mr Wilde gäbe es noch viel anzumerken, doch sollte man diese Details lieber im Zusammenhang mit der Geschichte erfahren.
Das Verbrechen, das es aufzuklären gilt, ist die Entführung einer jungen schwarzen Frau. Die Aufklärung hat nichts mit den üblichen polizeilichen Ermittlungen zu tun. Mr Wilde führt mal allein und mal zu zweit, mal mit Hilfe seines Bruders oder auch eines Kindes, Ermittlungen in einer Art und Weise durch, die zwar einem guten Zweck dienen, ihn selbst aber Kopf und Kragen kosten könnten.
Das große Thema der Handlung ist die Verfolgung freier schwarzer Bürger, die als Sklaven in die Südstaaten verkauft werden sollen. 
Die Autorin hat es geschafft, die Umstände und die Beteiligten anhand von Ereignissen lebendig und wirklichkeitsgetreu zu schildern. Ihre Anklage erhebt sie in Form der Erzählung. Sie versucht nie, nochmals zu steigern. Gefühle kommen mit großer Bescheidenheit und Zurückhaltung zum Ausdruck. Das verhilft dem Buch zu Glaubwürdigkeit.
Dieses Buch möchte ich gern denjenigen empfehlen, die bislang um „dieses“ Thema einen Bogen gemacht haben. Auch diese Geschichte gehört zur Geschichte dieser Stadt. 
Über die Autorin kann ich nur so viel sagen: „Lyndsay Faye gehört zu den authentischsten New Yorkern, nämlich denen, die woanders geboren wurden. Sie lebt in Manhattan. Mit der Romanserie um Timothy Wilde, den ersten Polizisten von New York, hat sie international Furore gemacht. Der erste Band der Reihe, der SPIEGEL-Bestseller Der Teufel von New York, wurde u.a. für den Edgar Award als „Best Novel“ nominiert.“
Wer des Englischen mächtig ist, dem empfehle ich ihre Website www.lyndsayfaye.com.                 

Lyndsay Faye
Die Entführung der Delia Wright


Bewertung

5/5 Region

5/5 Sprache

5/5 Originalität

5/5 Emotion

5/5 Plot (das Handlungsgerüst)


Gesamtbewertung

Informatives

Autor/en

Lyndsay Faye gehört zu den authentischsten New Yorkern, nämlich denen, die woanders geboren wurden. Sie lebt in Manhattan. Mit der Romanserie um Timothy Wilde, den ersten Polizisten von New York, hat sie international Furore gemacht. Wer des Englischen mächtig ist, dem empfehle ich ihre Website www.lyndsayfaye.com.

Kommissar/e

Timothy Wilde, knapp dreißig Jahre alt und einer der Ersten, die sich den Stern aus Kupferblech ans Revers steckten, nachdem im vorangegangenen Sommer endlich eine offizielle Polizeitruppe in der Stadt gegründet worden war, ist mehr als nur der Protagonist dieser Geschichte. Er ist fast ein Held.

Tatort/e