Das ist der dritte Band von Susanne Goga um den Kriminalkommissar Leo Wechsler, der im Berlin der zwanziger Jahre ermittelt. Zusammen mit seinem besten Freund, dem KriminalsekretÀr Robert Walther, dem Kollegen Otto Berns und dem neu hinzugekommenen Jakob Sonnenschein.
Gelesen habe ich Die Tote von Charlottenburg als letzten dieser Reihe. Ich gebe zu, dass mir die Figuren sehr vertraut geworden sind. Nicht gewöhnen konnte ich mich hingegen an die unsĂ€glichen LebensumstĂ€nde, in denen die Mehrzahl der Bevölkerung ihr Leben fristen musste. An die tĂ€glichen KĂ€mpfe ums Ăberleben und die Aussichtslosigkeit auf Besserung in jeglicher Hinsicht.
FĂŒr die Einhaltung von Recht und Ordnung zu sorgen und gleichzeitig nicht das AugenmaĂ zu verlieren, muss eine ungeheure zusĂ€tzliche Belastung fĂŒr die HĂŒter des Gesetzes gewesen zu sein.
Susanne Goga hat neben einer spannenden Geschichte ein höchst lebendiges Zeitdokument geschrieben. Die vielen kleinen Details, die sie neben der eigentlichen Handlung âmit liefertâ, verschaffen dem Kriminalroman zu einem hohen MaĂ an GlaubwĂŒrdigkeit. An einer Stelle des Buches ist es der Autorin vortrefflich gelungen, dem Leser in nur einem Absatz einen prĂ€gnanten Hinweis zur damaligen Zeit zu liefern, der keiner weiteren ErklĂ€rung bedarf.
âBesitzen Sie einen RundfunkempfĂ€nger?â
âVon meinem Gehalt?â, fragte Leo mit einem kurzen Auflachen, wĂ€hrend sie beim Gehen unbewusst in den gleichen Rhythmus fielen. âDer Dollar steht heute bei 4,2 Billionen Papiermark.â
âIch selbst habe auch keinen solchen Apparat, aber ein Onkel von mir arbeitet in einer Werkstatt, in der es einen gibt. Heute Abend wird ein Konzert gesendet, das man in diesem Apparat hören kann. Ist das nicht erstaunlich?â
âMeinen Sie, dieser Rundfunk hat Zukunft? Es gibt doch Grammophone, Konzerte, Tanzkapellen, die ĂŒberall zu hören sind âŠâ, meinte Leo skeptisch.
NatĂŒrlich geht es in Die Tote von Charlottenburg auch um die AufklĂ€rung eines Verbrechens. Eine âengagierte Ărztin und Frauenrechtlerin wird tot in ihrer Charlottenburger Wohnung gefunden. Ihr Neffe will nicht an einen natĂŒrlichen Tod glaubenâ. So weist der Klappentext auf den Inhalt hin.
Leo Wechsler und seine Kollegen ermitteln im Kreis ihrer Familie, in dem Krankenhaus, in dem sie tĂ€tig war und in ihrem Freundeskreis. Die Bereitschaft, Auskunft zu geben oder gar bei der AufklĂ€rung der Tat zu helfen bzw. helfen zu können, hĂ€lt sich in sehr engen Grenzen. Die einen wollen nicht und die anderen trauen sich nicht. Denn der Umstand, dass sich eine Ărztin (!) als Interessenvertreterin engagierte und als Frauenrechtlerin auftrat, war in erster Linie ungeheuerlich und weniger anerkennenswert.
Entsprechend schwierig und zĂ€h gestalten sich die Befragungen. Die Wahl der Mittel bei der VerbrechensaufklĂ€rung war seinerzeit denkbar bescheiden. So war eine telefonische Nachfrage nur möglich, wenn der Anzurufende auch ein Telefon besaĂ. Andernfalls war ein Besuch unumgĂ€nglich â in der Hoffnung, dass der zu Befragende auch zu Hause war.
Nachdenken, Informationen austauschen und Befragen. Das musste zum Ziel fĂŒhren. Mehr Möglichkeiten gab es nicht.
Die Tote von Charlottenburg erschien im Februar 2016 in der 7. Auflage. Die erste erschien, auch bei dtv, im Jahr 2012.