Rezension
Cay Rademacher hat sich eine Auszeit gegönnt, um in Ruhe dieses Buch schreiben zu können: Ein letzter Sommer in Méjean
Das ist meine Vermutung. Anders kann es nicht gewesen sein. Diesen Eindruck hatte ich nach 463 Seiten. Es ist eine Kriminal-ROMAN, kein Krimi.  
Wie und wo soll ich dieses Buch einordnen in der großen Auswahl bislang geschriebener Kriminalgeschichten des Autors?
Gar nicht. Geht nicht.
Ein letzter Sommer in Méjean strahlt eine unglaubliche Ruhe aus. Das beginnt beim Titelbild. Man möchte träumen, untertauchen und hoffen, dass die Zeit stehen bleibt. Mehr Frieden geht nicht. Augen schließen, die Provence vor Augen und ein Glas Weißwein aus der Region in der Hand.
So oder ähnlich haben sechs junge Deutsche, eine Freundes-Clique, den Sommer 1984 in Méjean verbracht. Sie haben gelacht, gesungen und, na ja, gelebt. Noch keine zwanzig Jahre alt waren sie. Sie hatten das Leben noch vor sich.
Nicht alle, einer von ihnen blieb in der Provence. Tot, erschlagen, aufgefunden in einer Badebucht. Für ihn war das Leben zu Ende. Für die Anderen blieben nur Schock, Entsetzen und viele offene Fragen.
Zum Beispiel die nach dem Mörder oder der Mörderin oder nach dem Grund des Mordes, oder…
Dreißig Jahre lang bleiben die Fragen nach den Umständen des Mordes unbeantwortet. Für die (ehemaligen) Freunde und für die Polizei. Und dann, nach dreißig Jahren, geht es auf einmal ganz schnell. Die verbliebenen fünf Deutschen werden aufgefordert, sich von einem auf den anderen Tag in Méjean einfinden. Genau in dem Haus, das sie auch vor dreißig Jahren gemeinsam bewohnten.
Warum kommen sie?
Was treibt, bewegt sie, innerhalb von vierundzwanzig Stunden nach Südfrankreich aufzubrechen?
Sie haben alle einen Beruf, Verpflichtungen. Und trotzdem treffen sie zeitgleich an ihrem ehemaligen gemeinsamen Urlaubsort ein? Seltsam.
Noch jemand kommt.
Marc-Antoine Renard von der Police judiciaire in Marseille. Er ist mehr tot als lebendig, hofft, irgendwann wieder mehr lebendig als tot zu sein. Trotzdem schickt ihn sein Vorgesetzter an die Côte Bleue, in das kleine Fischerdorf. Denn auch die Polizei sieht sich veranlasst, nein gezwungen, nach dreißig Jahren noch einmal an den Ort des Verbrechens zurückzukehren. Und für eine solche Aufgabe kommt nur Renard in Frage.
Was dann folgt, liebe Leser, ist Kriminal-Literatur vom Feinsten. Dieser unscheinbare Renard, den ein Windhauch umwehen würde, der für alle Betroffenen überhaupt keine Gefahr darzustellen scheint, der hat eine Art zu Fragen, die zunächst sprachlos macht.
Zunächst.
Ein letzter Sommer in Méjean erschien im Mai 2019 bei Dumont. Mein Tipp: Warten Sie nicht bis zum (möglichen) Erscheinen einer Taschenbuchausgabe. Erwerben Sie die Hardcover-Ausgabe mit Lesebändchen. Dieses Buch sollten Sie sich gönnen.
Cay Rademacher
Ein letzter Sommer in Méjean


Bewertung

5/5 Region

5/5 Sprache

5/5 Originalität

5/5 Emotion

5/5 Plot (das Handlungsgerüst)


Gesamtbewertung

Informatives

Autor/en

Cay Rademacher, geboren 1965, studierte Anglo-Amerikanische Geschichte, Alte Geschichte und Philosophie in Köln und Washington. Seit 1999 ist er Redakteur bei GEO, wo er das Geschichtsmagazin GEO-Epoche mit aufbaute, bei dem er seit 2006 Geschäftsführender Redakteur ist. Zuletzt erschien von ihm "Drei Tage im September" und "Die letzte Fahrt der Athenia 1939". Cay Rademacher lebt mit seiner Familie in Hamburg.Auf seiner Website www.cayrademacher.de erfahren Sie mehr über den Autor.

Kommissar/e


Tatort/e