Rezension
Bis auf ein oder zwei Bücher habe ich sämtliche „Brunnettis“ gelesen. Ich war schon fast geneigt, das den Geschichten zu Grunde liegende, stets wiederkehrende, Muster zu bemängeln. So unterschiedlich die Autorin in ihrer Themenwahl auch ist, der immer gleich besetzte Chor der handelnden Personen, allen voran die vierköpfige Familie des Commissario, sorgte aus meiner Sicht für fast schon zu viel Wohlfühl-Stimmung. Und dann erscheint Ewige Jugend. Ein feines Buch. Und das meine ich in jeder Hinsicht. Fast lautlos beginnt die Handlung im Haus seiner vermögenden Schwiegereltern. Unmerklich baut sich von Beginn des Benefiz-Essens im Palazzo des Conte Falier Spannung auf. Die Autorin lässt sich Zeit. Es geschieht kein Mord, das Kommissariat gerät nicht in Aufregung. Patta, der Vicequestore, lässt weder Signorina Elettra noch den Commissario leiden. Nur ganz allmählich entsteht aus einem viele Jahre zurückliegenden Ereignis ein Fall. Contessa Lando-Continui, eine alte Dame und langjährige Freundin der Familie Falier, bittet Brunetti mit so viel Nachdruck um die Klärung eines lange zurückliegenden tragischen Ereignisses in ihrer Familie, dass der Commissario schließlich ihrem Drängen nachgibt. Doch wie soll er ohne Faktenlage ermitteln? An dieser Stelle erweist sich die Autorin als eine wahre Meisterin ihres Genres. Der Commissario wird zur treibenden Kraft, weil er an den Punkt gelangt, an dem er sich endgültige Gewissheit darüber verschaffen möchte, „was damals wirklich geschah“. Wohl überlegt und mit viel Fingerspitzengefühl stellt Donna Leon dem Ermittler die Kollegin Claudia Griffoni zur Seite – an Stelle des bewährten Haudegens Vianello. Das passt. Fast zu einem kleinen Kabinettstückchen wird das Einbeziehen Pattas in den Fall. Denn den benötigt Brunetti dringend, gewissermaßen zur Absicherung für seine weitere Vorgehensweise. Hervorragend besetzt sind diesmal die Nebenrollen. Scharf gezeichnet und fast schon liebevoll mit Details ausgestattet hat die Autorin ihre Akteure. Der Leser erfährt diesmal mehr über das „Funktionieren“ der Gesellschaft, in der sich die Familie seiner Frau bewegt. Doch keine Sorge, die Art und Weise der Ermittlungen sorgen dafür, dass Ewige Jugend nicht in die Nähe eines Gesellschaftsromans gerät. Der fünfundzwanzigste Fall des Commissario Brunetti erschien im Juni 2016 und, wie die vorherigen Bände auch, bei Diogenes.
Donna Leon
Ewige Jugend


Bewertung

5/5 Region

5/5 Sprache

5/5 Originalität

5/5 Emotion

5/5 Plot (das Handlungsgerüst)


Gesamtbewertung

Informatives

Autor/en

Donna Leon verließ mit 23 Jahren New Jersey, wo sie 1942 geboren worden war, um in Perugia und Siena weiter zu studieren. Sie arbeitete als Reiseleiterin in Rom, als Werbetexterin in London sowie als Lehrerin an amerikanischen Schulen in der Schweiz, im Iran, in China und Saudi-Arabien. Seit 1981 wohnt und arbeitet Donna Leon in Venedig.

Kommissar/e

Guido Brunetti. Keinen Kommissar kenne ich so gut wie ihn. Der Familienvater hat eine traumhafte Wohnung in Venedig, einen unbequemen Vicequestore, eine kluge Kollegin (Signorina Elettra) und einen reichen Schwiegervater. Ich stelle ihn mir genau so vor wie Uwe Kockisch in der Filmrolle.

Tatort/e