Geheime Quellen heißt Commissario Brunettis neunundzwanzigster Fall. Was kann die (erfahrene) Autorin ihren Lesern noch bieten, um ihre Fangemeinde immer noch zu begeistern? Schließlich „lebt“ ihre Krimireihe in hohem Maße von Konstanz. Das betrifft den eng begrenzten Tatort Venedig ebenso wie die Questura und ihre Damen und Herren Mitarbeiter und nicht zu vergessen: die Familie Brunetti.
Wie vermittelt man der Leserschaft auf schonende Weise Alterungsprozesse? Denn ein forever young wäre schlichtweg unglaubwürdig.
Andrea Camilleri ist diese Entwicklung nach meiner Ansicht hervorragend mit seiner Montalbano-Reihe gelungen.
Doch ich schreibe über Donna Leon.
Als Autofahrer möchte ich den Kunstgriff, den die Autorin in Band neunundzwanzig anwendet, mal so beschreiben: Sie gibt weniger Gas – aber sie bremst nicht. Alles klar?
Die Frage, um die es geht und die auslösend ist für die Ermittlungen des Commissario und seiner Kollegin Claudia Griffoni, lautet: War Vittorio Fadaltos tödlicher Unfall mit dem Motorrad tatsächlich nur ein Unfall oder womöglich Mord?
Das Puzzle hat viele Teile und wie das fertige Bild aussehen wird, ist unklar. Ahnungen, Vermutungen und dazu langjährige Erfahrung treiben die beiden Ermittler an. Bestimmte Verhaltensmuster von Befragten machen zuerst stutzig und dann neugierig. Sorgsam geführte Befragungen, nur niemanden beunruhigen, zeigen immer häufiger in eine bestimmte Richtung. Es gibt eine Faktenlage – ohne Zweifel. Der Fall ist geklärt. Die Ermittler können zufrieden sein. Nein, könnten muss es heißen, nicht können. Denn Donna Leon baut eine Hürde, die Brunetti nehmen muss. Was macht Brunneti? Allein für die Beschreibung dieser Situation, in die der Commissario gedrängt wird, hat die Autorin besondere Anerkennung verdient.
Sehr geschickt und glaubhaft hat die Autorin für ihre beiden Ermittler ein Klima geschaffen, das das Tempo drosselt: Eine Hitzeglocke liegt über der Stadt. Wer sich jetzt schnell bewegt wird schnell bewegungslos.
Dieses Buch empfehle ich übrigens auch Nicht-Krimilesern. Hier wird Schreiben zur Kunstform erhoben.