Nein, dieser Teil der Adria von Andrea Nagele ist kein Urlaubsparadies. Auf halbem Weg zwischen Triest und Venedig, ziemlich genau in der Bogenmitte der Küstenlinie gelegen, da genau ist der Tatort. Das „kleine“ Grado bietet zudem den „großen“ Tatorten Triest und Venedig die Stirn. Geradezu keck und leicht unverschämt schiebt sich Grado ins Meer.
Ein Kalkül der Autorin? Sinnbild für das und worüber sie schreibt? Ich merke, wie meine Gedanken abschweifen.
Was hat das mit einer Rezension zu tun?
Grado im Nebel ist schließlich „nur“ ein Krimi. Punkt.
Ist es nicht.
Warum nicht?
Zuviel Nebel.
Zuviel was?
Zuviel Nebel.
Nebel hüllt ein, macht orientierungslos, verwirrt die Sinne, bringt vom Weg ab und kehrt das Unterste zu Oberst.
Das ist der Nebel draußen, vor dem wir ohnmächtig sind. Vor dem wir uns in die Häuser flüchten.
Dann ist da noch der Nebel im Kopf. Er hat die gleichen Auswirkungen wie der Nebel draußen: Fehlende Orientierung, Verwirrung, Ausweglosigkeit.
Dieser Nebel herrscht in Totos Kopf. Toto ist ein lieber Kerl, alle kennen ihn und haben Verständnis für das Riesenbaby. So einer tut niemandem etwas Zuleide. Stimmt nicht, leider. Toto hat etwas ganz Böses getan und deshalb wurde er wegen Mordes verurteilt (steht alles in Grado im Dunkeln).
Toto wurde überführt, Toto hat gestanden. Erledigt.
Und plötzlich scheint sich die Geschichte zu wiederholen. Es herrscht dichter Nebel und eine junge Frau wird überfallen. Und noch eine und noch eine und….
Ein Albtraum, nicht nur für die Commissaria Maddalena Degrassi, auch für ihr ganzes Team. Für ihren schönen Assistenten Fanetti und ihre Mitarbeiter Zoli und Guido Lippi.
Wer ist der wahre Täter, hat er einen Namen?
„Er“, er heißt nur „er“.
Diesen weiteren Nebelschleier legt die Autorin gekonnt über die Handlung. Es gibt keinen Hinweis, keine Ahnung. Das Grausame geschieht und alle sind hilflos. Ermittler und Leser.
Und als ob die Ermittlungen nicht schon zäh und schwierig genug wären, gibt es Unruhe im Kommissariat. Die Commissaria muss sich wehren, sich durchsetzen und behaupten – dabei sollte eigentlich ihre Zuneigung zu Franjo an oberster Stelle stehen.
Nicht nur Maddalena Degrassi, auch der Leser kann zwischendurch ein paar Streicheleinheiten vertragen (nein, er braucht sie!). Mein Dank gilt der Autorin.
Hat die Leiterin des Teams alles im Griff?
Hat sie nicht. Das weiß sie aber nicht. Sie ahnt es höchstens.
Der Leser weiß ein wenig mehr. Nutzt ihm aber nichts.
Ein Wettrennen beginnt. Die Jagd nach dem Mörder, dessen Konturen nur quälend langsam schärfer werden.
Grado im Nebel erschien am 22. Februar 2018, also an meinem Geburtstag und zwar wieder bei emons:.